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Dysgnathie – Ursachen und Behandlung schwerer Kieferfehl­stellungen bei Erwachsenen

Veröffentlicht von: Dr. Felix Bergschneider
Lesezeit: 7 Minuten
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Was ist Dysgnathie?

Die sogenannte Dysgnathie bezeichnet eine auffällige, von der Norm stark abweichende, Kieferfehlstellung. Eine solche Fehlstellung kann die Form, das Größenverhältnis oder auch das räumliche Verhältnis der Kiefer zueinander betreffen.

Diese ausgeprägten Fehlstellungen sind auch für Laien auf den ersten Blick erkennbar – etwa durch eine „vorstehende“ Unter- bzw. Oberlippe aufgrund einer Fehlstellung des Unter- bzw. Oberkiefers sowie durch asymmetrische Gesichtszüge im Bereich des Mundes. Die Betroffenen leiden daher oft unter der Dysgnathie – Scham und das Gefühl, nicht attraktiv zu sein, kann das Alltagsleben vor allem im sozialen Kontext mancher Betroffenen enorm beeinträchtigen.

Während bei etlichen Zahnfehlstellungen das Tragen einer Zahnregulierung ausreichend ist, kann bei der gewünschten Behebung sehr schwerer Kieferfehlstellungen eine Operation notwendig sein.
Im folgenden Beitrag werden sowohl mögliche Ursache und Symptome der Dysgnathie als auch die Abläufe einer Operation anschaulich erklärt.

Mögliche Ursachen einer Dysgnathie

Es existieren vielerlei mögliche Ursachen für die Entstehung schwerer Kieferfehlstellungen. Dysgnathie kann sich genetisch bedingt in der Wachstumsphase des Kiefers entwickeln, oder auch durch äußere Einflüsse, wie z. B Unfälle, entstehen.
Zu den Einflüssen zählen beispielsweise ein Kieferbruch (Trauma), ein bereits vorhandener Fehlbiss (wie etwa Kreuzbiss oder Überbiss) oder ungünstige Angewohnheiten in der Wachstumsphase wie Daumenlutschen oder Wangensaugen. Die Ursache ist also immer in der individuellen Biografie zu finden. Je nach Ursache und Verlauf können sich verschiedene Ausprägungen der Dysgnathie entwickeln.

Verschiedene Formen der Dysgnathie

Generell unterscheidet man in der Kieferorthopädie zwischen folgenden Formen der Dysgnathie:

– Retrognathie (auch „Rückbiss“ genannt)
Der Kiefer liegt in Relation zum Gegenkiefer zu weit hinten (daher auch die Bezeichnung „Rückbiss“). Es handelt sich somit um eine fehlerhafte Lage in der sogenannten sagittalen Dimension (= Richtung vorne <-> hinten).

– Prognathie (auch „Vorbiss“ genannt)
Bei dieser Kieferfehlstellung verhält es sich genau umgekehrt: Der Kiefer liegt in Relation zum Gegenkiefer zu weit vorne (daher die Bezeichnung „Vorbiss“). Auch in diesem Fall handelt es sich um eine fehlerhafte Lage in der sagittalen Dimension (vorne <-> hinten).

– Kreuzbiss
Liegt ein Kreuzbiss vor, so ist der Unterkiefer breiter als der Oberkiefer. Hierbei handelt es sich um eine fehlerhafte Lage in transversaler Richtung (= Richtung rechts <-> links). Diese Kieferfehlstellung kann sowohl einseitig als auch beidseitig vorkommen.

– Laterognathie
Bei dieser Form der Dysgnathie handelt es sich um eine Abweichung des Unterkiefers zu einer Seite hin. Die fehlerhafte Lage liegt also ebenfalls in transversaler Richtung (rechts <-> links) vor, wobei diese Lage oft im Kontext eines einseitigen Kreuzbisses auftritt.

– Der offene Biss
Ein offener Biss ist dann vorhanden, wenn beim Schließen des Mundes eine Lücke zwischen den unteren und den oberen Zähnen bestehen bleibt. Das bedeutet, dass nicht alle Zähne zueinander Kontakt haben – der kontaktlose Bereich bezeichnet jenen „offenen Biss“. Eine fehlerhafte Lage liegt in vertikaler Richtung (oben <-> unten) vor. Hierbei unterscheidet man wiederum zwischen einem frontal offenem Biss, einem lateral (seitlich) offenem Biss und einem zirkulär offenem Biss.

All jene Formen der Dysgnathie können für sich alleinstehend als auch in Kombination auftreten. Ein ausgebildeter, erfahrener Kieferorthopäde kann die exakte Lage des Kiefers bestimmen und somit einen geeigneten Behandlungsplan empfehlen.

Was spricht für die Behandlung einer Kieferfehlstellung bzw. Dysgnathie?

Schwere Kieferfehlstellungen können generell die Kaufunktion beeinträchtigen, da es während des Kauvorgangs zu einer Überbelastung der Zähne und des Zahnhalteapparats kommen kann. Dies kann zu einer Abnutzung des Kiefers führen und Schmerzen verursachen.

Ist der Unterkiefer zurückgebildet, kann dies die Atmung behindern: Liegt der Unterkiefer zu weit hinten – auch „mandibuläre Retrographie genannt“ -, so führt dies häufig zu einem verengten Rachenraum. Eine solche Verengung kann die Atmung erschweren und auch zu vermehrtem Schnarchen oder zu Atemaussetzern im Schlaf – einer sogenannten „Schlafapnoe“ – führen.

Natürlich spielt auch die Psyche eine Rolle, die viele Betroffene dazu veranlasst, eine korrigierende Behandlung vornehmen zu lassen: Die Betroffenen sind mit dem ästhetischen Erscheinungsbild ihres Gesichtes v.a. im Mundbereich unzufrieden. So kann beispielsweise ein fliehendes Kinn oder ein sehr stark ausgeprägter Kinnbereich das persönliche Ästhetikempfinden stören. Manche Betroffene sind mit ihrem Äußeren letztendlich derart unzufrieden, dass sie sogar soziale Kontakte einschränken und sich im Alltag häufig unwohl fühlen.

Eine Kiefer-Operation kann auch bei schweren Fehlstellungen gute Erfolge verzeichnen. Allerdings birgt diese OP übliche OP-Risiken mit sich und findet daher grundsätzlich stationär statt. Ob eine OP wirklich notwendig ist oder andere Korrekturen, wie eine Zahnspange, ausreichen, sollte immer individuell abgewogen werden.

Kann man alle Formen der Dysgnathie mittels OP behandeln?

Ob eine Operation notwendig bzw. sinnvoll ist, sollte durch ein Beratungsgespräch mit einem versierten Kieferorthopäden abgeklärt werden. In einigen Fällen der Kieferfehlstellungen reicht eine kieferorthopädische Behandlung ohne Operationen aus.

Bei schweren Kieferfehlstellungen, die nicht mithilfe etwaiger Zahnregulierungen zu verbessern sind, sowie bei gewünschten starken Veränderungen der Gesichtsproportionen, bietet sich neben einer kieferorthopädischen Behandlung auch eine kieferchirurgische OP an. Im Folgenden finden Sie Erläuterungen zu den jeweiligen chirurgischen Eingriffen:

– Zu schmaler Oberkiefer
Ein zu schmaler Oberkiefer wird in Knochennähe geschwächt und danach durch eine Gaumennahterweiterung mithilfe einer chirurgischen Zahnspange behandelt. Diese OP-Methode wird auch als „chirurgisch unterstützte Gaumennahterweiterung“ bezeichnet.

– Vorstehendes Kinn
Steht das Kinn aufgrund eines ausgeprägten Überbisses vor, so werden zunächst die Zähne begradigt. Daraufhin erfolgt eine Verlagerung der Kiefer in die korrekte Position.

– Großer Überbiss
Auch in diesem Fall werden die Zähne zunächst begradigt und etwaige Zahnlücken geschlossen. Daraufhin werden die Kiefer operativ in die richtige Position verlagert.

Wie erfolgt der Ablauf einer Dysgnathie-Behandlung?

Die klassische Behandlungsmethode erfolgt in drei Phasen:

1. Kieferorthopädische Vorbehandlung

Zu Beginn der Behandlung erfolgt eine kieferorthopädische Korrektur. Das bedeutet, dass alle Zahnfehlstellungen in dieser Phase korrigiert werden. Dies ist notwendig, um in der darauffolgenden Operation eine geeignete operative Verlagerung der Kiefer gewährleisten zu können. In dieser Phase kann es optisch zu einer gefühlten Verschlimmerung der Zahnfehlstellung kommen, jedoch sollte bedacht werden, dass es sich hierbei lediglich um eine Zahnkorrektur zum Zweck der eigentlichen Operation (und somit der eigentlichen Kieferkorrektur) handelt.
Der gesamte Prozess der Vorbehandlung dauert ungefähr ein Jahr und erfolgt mithilfe einer festen Zahnspange.
Am Ende der Vorbehandlung sind Ober- und Unterkiefer kieferorthopädisch in Form gebracht worden. Die nun zueinander passenden Kieferzahnbögen können nun chirurgisch weiter behandelt werden. Da die eigentliche Korrektur der Kieferfehlstellung erst erfolgt, liegt ein korrekter Biss in diesem Stadium der Behandlung noch nicht vor.

2. Chirurgische Umstellungsosteotomie

Im Anschluss an die kieferorthopädische Vorbehandlung erfolgt die sogenannte „chirurgische Umstellungsosteotomie“. Nach einer detaillierten Planung erfolgt hierbei die korrekte Positionierung des Ober- und Unterkiefers. Dabei handelt es sich um eine Operation, die von einem Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen ausgeführt wird und im Rahmen eines mehrtägigen stationären Aufenthaltes erfolgt.
Der betroffene Kiefer wird an einer geeigneten Stelle durchtrennt – im Oberkiefer handelt es sich dabei oft um die sogenannte „Le-Fort-I-Ebene“. Im Unterkiefer erfolgt häufig eine sogenannte sagittale Spaltung nach Obwegeser Dal Pont. Diese OP-Methode ist in der Kieferchirurgie beliebt, da das Risiko einer Nervenschädigung des Unterkiefers hierbei drastisch verringert.

3. Kieferorthopädische Feineinstellung

Nach erfolgter kieferchirurgischer Operation erfolgen kieferorthopädische Abschlusskorrekturen. Das bedeutet, dass in diesem Stadium alle notwendigen Feineinstellungen vorgenommen werden, um ein ästhetisches Ergebnis samt gutem Biss und angenehmem Kaugefühl zu gewährleisten. Hierbei kommt eine Zahnspange zum Einsatz, die etwa zwei bis sechs Monate getragen wird.

Dieses bewährte 3-stufige Verfahren kann prä-operativ sehr genau geplant werden. Dadurch ist das Ergebnis gut kalkulierbar und die Zahnkieferbögen passen im Normalfall bereits nach der OP gut aufeinander.

Alternative: Der „Surgery-first“-Ansatz in der Dysgnathie Behandlung

Bei diesem alternativen Behandlungsverfahren wird die feste Zahnspange direkt vor der Kiefer-OP eingesetzt. Die Kiefer werden direkt am Anfang der Dysgnathie-Behandlung mittels OP verlagert. Sofort nach der OP wird mit der Korrektur der Zähne begonnen.

Der Vorteil dieser Reihenfolge ist, dass die gewünschte Veränderung des Profils bzw. der Gesichtsproportionen direkt zu Beginn der Behandlung eintritt. Dadurch lässt sich das Ergebnis der Dysgnathie OP vorher und nachher äußerst gut vergleichen. Oft lässt sich bei dieser Methode auch die Behandlungszeit verkürzen. Nicht jeder Patient ist für diese Methode geeignet – welche Behandlungsform passend ist, sollte immer ausführlich mit einem Kieferorthopäden bzw. Kieferchirurgen abklärt werden.

Während der Behandlungen arbeiten Kieferorthopäden und Kiefer-Gesichtschirurgen zusammen. Das heißt, das Kiefer-Gesichtschirurg korrigiert die Kieferfehlstellung und der Kieferorthopäde die Zahnfehlstellungen.

Wie lange ist man krank nach einer OP?

Nach einer Kiefer-OP erfolgt meist noch ein mehrtägiger, stationärer Aufenthalt. Bis zu zwei Monate nach der OP sollte der Patient keine feste Kost zu sich nehmen. Außerdem sollte in diesem Zeitraum von körperlichen Belastungen abgesehen werden. Die Nachbehandlung mithilfe einer festen Zahnspange im Rahmen der klassischen 3-stufigen Behandlungsmethode dauert ca. weitere 6 Monate.

Wie hoch sind die Kosten einer Dysgnathie Behandlung?

Die Kosten für eine Kiefer-OP werden je nach Schwere der Dysgnathie von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Die Kosten liegen je nach Kieferfehlstellung, Materialaufwand und Operationsmethode im Bereich zwischen 1.000 und 5.000 Euro.

Existieren alternative Behandlungsmethoden zu einer OP?

Eine in manchen Fällen geeignete Alternative der Dysgnathie Behandlung zu kieferchirurgischen Eingriffen ist die sogenannte „dentale Kompensation“. Bei dieser Therapiemethode wird die Kieferfehlstellung nicht korrigiert, sondern durch gezielte Zahnkorrektur kaschiert, weshalb diese Methode auch „Camouflage“ genannt wird.

Ebenso sinnvoll kann bei Dysgnathie eine Behandlung mittels Zahnschienen sein. Hierbei werden Kieferfehlstellung und Zahnfehlstellungen ebenfalls belassen. Eine herausnehmbare Schiene überbrückt den Fehlbiss. Dank des Tragens der Schiene werden Überlastungen des Kiefers und der Zähne reduziert.

Fazit: Individuelle Lösungen für den Patienten bei der Dysgnathie Behandlung

Je nach Ursache, Form der Fehlstellungen und Ausmaß der Dysgnathie können unterschiedlichste Behandlungsformen zum Einsatz kommen. Die Behandlungsmöglichkeiten können sowohl kieferchirurgisch als auch kieferorthopädisch erfolgen. In jedem Fall sollte Nutzen und Risiko abgewogen werden und individuelle, auf den Patienten abgestimmte Behandlungspläne angefertigt werden.

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