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Vergrößerter Überbiss – Unterkiefer zu weit hinten

Veröffentlicht von: Dr. Felix Bergschneider
Lesezeit: 3 Minuten

Unter einem Überbiss, auch Overjet genannt, versteht man in der medizinischen Fachsprache die Lage der oberen und unteren Frontzähne zueinander. Hierbei sollte der Abstand zwischen oberen und unteren Zähnen ein bis zwei Millimeter betragen. Beim sogenannten vergrößerten Überbiss ist dieser Abstand jedoch deutlich größer und damit behandlungsbedürftig. Diese Zahnfehlstellung kann sowohl eine Fehlstellung des Oberkiefers, des Unterkiefers, als auch beider Kiefer umfassen. Häufig sind Kieferfehlstellungen genetisch bedingt – das heißt, vererbt. Auch physikalische Reize wie Daumenlutschen sowie Zahnfehlstellungen und fehlerhafte Zähne können eine Kieferfehlstellung verursachen. Eine korrekte Zahnstellung behebt eine solche Fehlstellung nicht, es gibt allerdings ein breites Spektrum an Behandlungsmöglichkeiten. Die konkrete Behandlung richtetet sich nach der jeweiligen Art der Kieferfehlstellung. Im Folgenden soll auf Symptome, Folgen und Behandlungsmethoden der Unterkieferfehlstellung näher eingegangen werden.

Symptome und Folgen einer Unterkieferfehlstellung

Liegt der Unterkiefer zu weit hinten, spricht man von einer mandibuläre Retrognathie. Unterlippe und Kiefer befinden sich demnach deutlich hinter dem Oberkiefer. Es kann zu Schädigungen des Kiefergelenks kommen. Das Kauen wird erschwert, wodurch Verdauungsbeschwerden entstehen können. Eine ausgeprägte Kieferfehlstellung kann zudem Verspannungen verursachen, die sich durch Nackenschmerzen, Rückenschmerzen und auch Tinnitus bemerkbar machen können. Liegt der Unterkiefer zu weit hinten, kann zudem das Atmen erschwert werden. Auch psychische Probleme können durch einen vergrößerten Unterbiss ausgelöst werden – der Eindruck sogenannter „Hasenzähne“, das heißt, optisch vorstehende Frontzähne, und auch ein „fliehendes Kinn“ kann erwiesenermaßen zu Mobbing führen. Um eine physische – und manchmal auch psychische Genesung – zu unterstützen, ist es daher wichtig, möglichst früh mit der Behandlung der Kieferfehlstellung zu beginnen.

Diagnose und Behandlung einer Unterkieferfehlstellung

Eine Unterkieferfehlstellung ist meist auf den ersten Blick zu erkennen. In einer ausführlichen Anamnese wird den Ursachen der Fehlstellung auf den Grund gegangen. Mittels untersuchender Handgriffe (funktionelle Strukturanalyse) und anatomischer Vermessungen wird die Kieferfehlstellung näher beurteilt. Ergänzt wird die Untersuchung durch ein Röntgen und dem Anfertigen eines Gebissabdrucks, um die Fehlstellung des Kiefers exakt zu ermitteln. Darauf basierend ergeben sich unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten:

Kieferorthopädische Behandlung

Besonders bei Kindern und Jugendlichen gilt der Einsatz von Zahnspangen als bewährte Korrektur des Unterkiefers. Am effektivsten ist der Einsatz von Zahnspangen vor der Pubertät, da sich der Körper in diesem Alter in einer besonders intensiven Wachstumsphase befindet. Das Kieferwachstum kann in dieser Phase gut beeinflusst und korrigiert werden. Bei sehr starker Unterkieferfehlstellung sollte die Behandlung im frühen Kindesalter beginnen. Eine besondere Form der Zahnspange stellt die sogenannte Vorschubdoppelplatte dar. Es handelt sich dabei um eine spezielle Zahnspange, die mindestens 12 Stunden pro Tag bzw. nachts getragen werden sollte. Mithilfe dieser Zahnspange lassen sich bei einem Unterkiefer, das zu weit hinten ist, Übungen absolvieren, die eine Unterkieferfehlstellung allmählich korrigieren. Hierbei fungiert die Vorschubdoppelplatte durch Kaubewegungen und andere kieferorthopädische Übungen als „Trainingsgerät“ zur positiven Beeinflussung des Kiefers. Auch diese Behandlungsmethode sollte bereits in der Kindheit – am besten zwischen dem 8. und dem 12. Lebensjahr – eingesetzt werden. Eine Kooperation des Kindes ist dabei Grundbedingung für den Behandlungserfolg. Doch auch für Erwachsene mit Überbiss ist eine Kieferregulierung per Zahnspange durchaus möglich. Zur Anwendung kommt dabei die sogenannte „Herbstreparatur“, eine spezielle Zahnspange, die sowohl auf den Kiefer als auch auf die Kieferknochen sukzessive einwirkt.

Kombination von Kieferorthopädie und Kieferchirurgie

Ist die Unterkieferfehlstellung sehr stark ausgeprägt, kann – meist zusätzlich zur kieferorthopädischen Behandlung – ein chirurgischer Eingriff nötig sein, um weitere Schäden der Zähne zu verhindern. Eine OP des Kiefers kann gleichzeitig das Gesichtsprofil ästhetisch aufwerten. So kann durch die chirurgische Behebung der Fehlstellung beispielsweise die oft starke Ausprägung eines fliehenden bzw. markanten Kinns behoben werden. Die OP wird in Vollnarkose durchgeführt. Von außen oder über den Mundraum wird ein Zugang geschaffen, um zum Kieferknochen zu gelangen. Daraufhin wird der Unterkiefer getrennt, nach vorne geschoben und mithilfe von Metallplatten und Schrauben wieder zusammengefügt. Schrauben und Metallplatten können entfernt werden, sobald die Knochen zusammengewachsen sind. Bis dahin kann es nötig sein, eine Kunststoffschiene (Splint) einzuführen, um eine stets korrekte Lage des Kiefers zu garantieren. In seltenen Fällen ist es aufgrund der Lage notwendig, Ober- und Unterkiefer mithilfe von Drähten miteinander zu verbinden. Manchmal müssen Drainagen eingeführt werden, um Wundflüssigkeit abfließen zu lassen. Die Drainagen können innerhalb weniger Tage wieder entfernt werden.

Vor und nach der OP

Vor einem chirurgischen Eingriff sollte eine eventuelle Kostenübernahme durch die Krankenkasse geklärt werden. Mit dem behandelnden Arzt sollte außerdem über Medikamenteneinnahme gesprochen werden, da man Blutverdünner am Tag der OP möglicherweise absetzen sollte.

Wie bei jeder Operation können auch bei einem kieferchirurgischen Eingriff zu Komplikationen entstehen. So kann es in den ersten Tagen nach der OP neben Schwellungen und Schmerzen auch zu Empfindungsstörungen wie Taubheitsgefühlen und Lähmungen aufgrund durchtrennter Nerven kommen. Meist verschwinden derartige Empfindungen wieder, manchmal bleiben diese aufgrund dauerhafter Schädigungen jedoch bestehen. Des Weiteren kann es zum Abstoßen von eingesetztem Material sowie zu allergischen Reaktionen kommen. Ein weiteres Risiko stellt das Absterben von Gewebe, die Schädigung von Zahnwurzeln sowie die Bildung eines Falschgelenks (Pseudoathrose) dar.
Besteht der Verdacht einer Komplikation, ist es wichtig, sofort einen Arzt aufzusuchen.

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